Bananennektar

 

Die Bundesregierung lässt sich hin und wieder gern mal fachlich beraten.

Ich war auf dem Rückweg. Wir hatten die Bundesregierung unterstützt. Der sogenannte Wissenschaftsrat war zum wiederholten Mal in der Bundeshauptstadt zusammengetreten. Letztlich eine recht trockene, halbjährliche Veranstaltung. Es wurden allerdings große Summen Steuergeld verteilt. Einige hundert Millionen zusätzliche Fördergelder für die Länder, beziehungsweise Mittel für die Erweiterung der Kliniken und Hochschulen, als auch für Wissenschafts- und Forschungszentren.

Es fanden an und für sich die üblichen klammheimlichen Macht- und Verteilungskämpfe statt. Die verantwortlichen Professoren fühlten sich der jeweiligen Hochschule bzw. dem Land verpflichtet, in dem sie lehrten. Als könnten sie nicht aus ihrer Haut. Es erinnerte im Grunde stark an eine erweiterte, anstrengende Hochschulratssitzung. Als seien die Bundesländer sozusagen auch nur so etwas wie unterschiedliche Fakultäten bzw. Fachbereiche.

Überregionale Forschungsförderung im weitesten Sinne, war das eigentlich vorgegebene Ziel. Es wurde üblicher Weise kurz darüber debattiert und anschließend wurden die Summen mehr oder weniger großzügig zugeteilt. Ich hatte mit stark abweichenden, unwiderlegbaren Berechnungen den formalen Ablauf gestört und damit für allgemeinen Unmut gesorgt.

 

So wurde, während der deshalb etwas aufregenderen und zudem auch längeren Sitzung am Nachmittag, mal wieder zu viel Kaffee getrunken.

Mein Magen gluckerte ohne Ende, ich musste dringend auf die Toilette und war zudem mächtig hungrig. "Na ja, gleich bin ich da", dachte ich, während die letzten Autobahnkilometer unter mir hinwegrauschten.

Meine neuen Lloyds waren noch nicht richtig eingetragen. Schon während der Verhandlungen drückten sie zwischendrin wie verrückt und erst als meine Füße auf der Rückfahrt weniger belastet wurden, ließ die Pein etwas nach.

Ich stoppte also mit knurrendem Magen, kurz vor Ladenschluss, beim örtlichen Discounter.

Schnell noch ein paar rote Weintrauben, ein kleines Ciabatta und ein Paket irische Butter, einen aromatischen Handkäse und eine Tüte braunen Rohrzucker zusammengeklaubt und dann direkt zur Kasse. Nur eine ist besetzt und ich stelle mich schleunigst an. Eigentlich stellen sich ungefähr alle gleichzeitig an. Und zwar direkt vor mir.

Ich warte also einige Minuten und irgendwann stehen nur noch vier Kunden zwischen mir und der Kassiererin. Wenn sie nicht wären, könnte ich geschwind meine Waren auf das Band legen und bezahlen, um dann endlich nach Hause zu fahren.

Jeder kennt das. Je dringlicher es sich anfühlt, umso länger ist die Schlange. Egal wo. Und sie bewegt sich - als sei sie böswillig - scheinbar extra langsam voran, wenn man gerade eine lange Autofahrt hinter sich hat und unbedingt eine Toilette bräuchte.

Überrascht bemerke ich, wie sich vor dem Laufband der Kasse eine Pfütze bildet. Sie spiegelt die ungemütlichen Neonröhren von der Decke wider. Und sie wächst und wächst.

Ein älterer Typ in einer viel zu warmen, schief sitzenden Jacke und mit einem schräg aufgesetzten Deppenkäppi, lehnt am Bandende und pieselt freihändig und vollkommen geräuschlos ans Gehäuse. Er benutzt den angelehnten Oberschenkel um sich auszubalancieren und hat eine Brandy-Flasche auf das Laufband gestellt. Als könne diese ihm zusätzlichen Halt geben, umklammert seine Rechte die braune Pulle eisern am Hals. Er ist schließlich fertig und die andere Hand nestelt an der wollenen, steif wirkenden Hose herum.

Ein Mannschaftsspruch aus vergangenen Jahren schießt mir unwillkürlich durch den Kopf: „Pissen steckt an, wer nicht pissen kann, ist kein Mann!“ So grölten wir Jungs jedenfalls seinerzeit in der Umkleidekabine, sobald einer auf die Toilette ging und der nächste nachfolgte.

Als die vor mir stehenden Kunden unverhofft die Lache entdecken und aufgeregt zurückschrecken, rammt mir einer mit seinem hüpfenden Hinterteil zu allem Überfluss auch noch meinen Einkaufswagen in die Leistengegend. Der schneidende Schmerz lässt mich abrupt nach vorne klappen. Meine mühsam kontrollierte Blase möchte auf der Stelle platzen und als ich dem Handkäse im Wagen mit der Nase näher komme, müffelt dieser merkwürdiger Weise erheblich kräftiger als sonst. Ich stöhne ihn hörbar laut an. Vermutlich habe ich eine eingerissene Verpackung erwischt, denke ich, während ich mich ächzend wieder aufrichte. Falls ich ihn mitnehme, wird der Audi noch Tage später danach stinken.

Ein lässiger, junger Türke steigt über die Pfütze und weist die Frau an der Kasse auf den dampfenden Vorfall hin. Die auffällig vollbusige Kassiererin nickt nur stoisch, als sei sie eigentlich in einer Klinik beschäftigt und sowieso tagtäglich von Deppen aller Art umgeben. Gottseidank kassiert sie einfach gelassen weiter und springt nicht auf, um die Sauerei aufzuwischen.

Ich sehe sie etwas genauer an. Unter ihrem offen stehenden Firmenkittel trägt sie ein straff gespanntes T-Shirt. „Wir verwöhnen Sie!“ steht in leuchtend roten Buchstaben unter dem mächtigen Dekolleté. Ich lese den Text ungläubig ein weiteres Mal und frage mich einen kurzen Moment, ob diese Zweideutigkeit gewollt ist oder ob nur mir so etwas auffällt.

Der nächste Kunde macht einen weiten Schritt über den kleinen See. Ein strahlend blickender Bartträger mit wallender Mähne stellt eine hüllenlose Kunststofflasche - also eine ganz ohne Aufkleber oder Banderole - auffallend lässig auf das stillstehende Laufband.

Die fällt natürlich prompt um, als das Band im nächsten Augenblick ruckartig anläuft. Eine gelblich-weiße Flüssigkeit schwappt unappetitlich darin herum. Sein Kumpel argwöhnt, es sehe aus wie die gesammelte Spermaprobe eines ganzen Fußballvereins und er solle die Plastikflasche doch lieber dalassen.

Es sei aber doch der letzte Bananennektar gewesen, erwidert dieser, seine Freundin wäre super stinkig, wenn er ihr keinen Saft mit brächte.

Ich bücke ich mich, und suche nach einer Jutetasche. Mein edler Übergangsmantel hängt sich dabei hinterrücks in die gelbe Pfütze.

Die Spermaflasche kann erwartungsgemäß nicht eingescannt werden und muss somit leider im Laden bleiben.

Ich hingegen bezahle rasch die paar Kleinigkeiten und muss sofort diesen Laden verlassen.

Ich sehe meinen Wagen auf dem Parkplatz, werfe die Lebensmittel auf den Beifahrersitz und steige beinahe gleichzeitig ein. Die Schuhe drücken schon wieder und als ich sie gerade umständlich unter dem Lenkrad ausgezogen habe, berühre ich den nassen Mantelsaum. Ekelig.

Ziemlich angepisst und entsprechend riechend, presche ich angewidert vom Parkplatz, um schnellstens die heimische Toilette aufsuchen.

 

So ein saublöder Mist“, denke ich. Schon wieder das richtige Leben. Dann muss ich unwillkürlich grinsen. 

http://bit.ly/2sLD7rZ
http://bit.ly/2ECKDL3
http://bit.ly/2BFp5uM
http://bit.ly/2Fg3Zmm
http://bit.ly/2oaqQse
http://bit.ly/2HtimV5