Seemannsschnitzel

 

 

Man kommt ja viel zu selten an die norddeutsche Küste. Dorthin, wo die Luft noch klar ist und das Wort noch wahr ist. Oder wie auch immer es in einem dieser Werbesprüche heißt.

*

Im Wonnemonat Mai stand ich nun endlich mal wieder am Meer und hatte Hunger und richtig Appetit auf ein frisches Fischgericht. Am liebsten wollte ich es im Anblick der rauschenden Wellen und an der frischen Luft verzehren.

 

Im dementsprechend ausgewählten Fischimbiss mit Meerblick, standen einige Gäste vor mir am Kundentresen und ich musste ein wenig warten.

 

Deshalb war auch genug Zeit, die Auslage und die Anschläge mit den blassen Farbfotos, sowie die krakelige Kreideschrift der aktuellen Tagesangebote auf den schiefergrauen Tafeln, in Ruhe zu studieren.

 

In einem gläsernen Kasten lagen, professionell garniert, sechs oder sieben unterschiedlich belegte Fischbrötchen. Auf von roten Servietten geschützten Tellern. Sie waren zwar keine Fischgerichte im gewünschtem Sinne, würden meinen Hunger aber wahrscheinlich umgehend stillen. Sie mal eben über die Theke zu reichen, ginge vermutlich auch am schnellsten.

 

Das Angebot des Tages war jedoch „Seemannsschnitzel“. Ich dachte unwillkürlich an ein Diplomatensteak, welches ich vor Jahren einmal in Ouagadougou genossen hatte. „Diplomatensteak“ hatte, in dem seinerzeit vom Hunger arg geplagten Land in der Sahelzone, zu einigen, recht makaberen und abwegigen Witzeleien geführt.

 

Dabei gibt es ja bekannterweise weitere unterschiedliche „Berufsgerichte“, unter anderem das beliebte „Jägerschnitzel“, das „Bauernfrühstück“ oder auch die Scholle „nach Müllerinnen“ Art.

 

„Seemannsschnitzel“ war mir dennoch bis dahin unbekannt und so fragte ich kurzerhand die emsige Frau hinter der Theke.

 

Es sei kein Schnitzel vom Kalb, Schwein oder gar vom Seemann, meinte die freundliche Verkäuferin daraufhin verschmitzt lächelnd, nein, es sei etwas ähnliches wie Fischstäbchen. Geschmacklich genau so. Nur flacher und breiter. Also etwa so geformt wie ein Schnitzel.

 

„Ach nein,“ meinte ich. „Fischstäbchen möchte ich nicht.“

 

Ich wandte mich der gläsernen Truhe zu. Dann vielleicht doch lieber ein Fischbrötchen.

 

Denn mich ließ schon seit Wochen, der immer wiederkehrende Gedanke an einen frischen Räucheraal nicht los. Dieses, mit „Seeaal“ belegte Fischbrötchen sah jedoch nicht ganz so aus, wie ich es in Erinnerung hatte.

 

Aber ich überlegte, bevor ich nun irgendwelche geheimnisvollen, mit unbekannten Fantasienamen bedachten Fertiggerichte probiere, nehme ich eventuell einfach den Seeaal.

 

Der ruhte, gemeinsam mit einem Salatblatt zwischen zwei Brötchenhälften eingeklemmt, in der gläsernen Auslage. Bei genauerer Betrachtung, wirkten die heraus schauenden Aalenden allerdings ungewöhnlich goldig und zudem leicht verbogen. Auch war mir der spezielle Begriff „Seeaal“ bisher noch nicht unter gekommen.

 

Sie beobachtete mich und meinen forschenden Blick.

 

„Das ist kein Aal wie sie ihn kennen,“ meinte sie, „das Seeaalbrötchen ist mit Schillerlocken belegt, es ist also kein richtiger Aal, sondern etwas vom Haifisch.“

 

Schillerlocke hört sich jedenfalls ausgesprochen gut und edel an. Man denkt unwillkürlich an das weltweit bekannte, tiefgründige „Volk der Dichter und Denker.“

 

Ich erinnerte mich sogar, was die Haarpracht des bekannten deutschen Poeten mit der speziellen Fischkonservierung zu tun hatte. Der heiße Buchenrauch verlieh dem Stück vom Haifisch die güldene Farbe und drehte oder wellte ihn zudem leicht ein. Als hätte er nicht im beißenden Rauch gehangen, sondern sei einfühlsam mit einem Lockenstab bearbeitet worden.

 

Genauer gesagt, sind Schillerlocken jedoch die abgetrennten und geräucherten Bauchdecken oder die fälschlicher Weise als Seeaal verkauften Rückenmuskeln des Dornhais, der meines Wissens auch im Bereich der Doggerbank umher schwimmt.

 

Und, wie ich mich plötzlich wieder erinnerte, laut eines Fernsehberichtes, nach wie vor vom Aussterben durch Überfischung bedroht ist.

 

Ich habe kurz überlegt und mich dann doch nicht weiter dazu geäußert. Sondern meinen Blick weiter schweifen lassen.

 

Nach dieser kleinen Pause, dann letztendlich die Fischfrau hungrig angesehen und entschlossen eine gerade entdeckte „Scholle Natur“ bestellt. Unpaniert.

 

Frisch gefangen und unverfälscht, so sah die nackte Scholle in dem kalten Eisbett auf der Anrichte jedenfalls aus. Genau so eine wollte ich in dem Moment haben.

 

Ob es in diesem Fall möglicherweise eine Scholle nach „Müllerinnen Art“ sein würde oder nicht, war mir im Endeffekt ziemlich egal. Und in Anbetracht der, bis zu dem Moment gemachten Erfahrungen, versuchte ich lieber nicht, etwas Genaueres darüber herauszubekommen.

*

Während ich, mit hörbar knurrendem Magen, auf die Zubereitung des Mittagessens wartete, sah ich nachdenklich hinaus. Weit über die Terrasse hinweg, durch die klare norddeutsche Luft. Direkt auf das, trotz der gerade vorherrschenden Windstille, ungewöhnlich stark aufgewühlte und unruhig gischtende Meer.

 

Dort draußen lag irgendwo, unterhalb der wild tosenden Wassermassen, die fischreiche Doggerbank der Dornhaie. Dort, am düsteren Meeresgrund, wurde mit großer Wahrscheinlichkeit auch mein Plattfisch gefangen.

 

 

Ich fühlte mich weiterhin irgendwie getäuscht und geplättet, während aus den Tiefen meiner selbst überraschend ein Gedanke auftauchte: „Eine „Maischolle“ ist es aber mit Sicherheit! Schon allein, weil ich sie hier und jetzt in diesem Monat Mai verspeisen werde.“

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